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V 6 34 Kap 52

52. Atemzüge eines Sommertags.

Die Sonne war unterdessen höhergestiegen; die Stühle hatten sie wie gestrandete Boote in dem flachen Schatten beim Haus zurückgelassen, und lagen auf einer Wiese im Garten unter der vollen Tiefe des Sommertags. Sie taten es schon eine ganze Weile, und obgleich die Umstände gewechselt hatten, kam es ihnen kaum als Veränderung zu Bewußtsein. Ja eigentlich tat dies auch nicht der Stillstand des Gesprächs; es war hängengeblieben, ohne einen Riß verspüren zu lassen.

Ein geräuschloser Strom glanzlosen Blütenschnees schwebte, von einer abgeblühten Baumgruppe kommend, durch den Sonnenschein; und der Atem, der ihn trug, war so sanft, daß sich kein Blatt regte. Kein Schatten fiel davon auf das Grün des Rasens, aber dieses schien sich von innen zu verdunkeln wie ein Auge. Die zärtlich und verschwenderisch vom jungen Sommer belaubten Bäume und Sträucher, die beiseite standen oder den Hintergrund bildeten, machten den Eindruck von fassungslosen Zuschauern, die, in ihrer fröhlichen Tracht überrascht und gebannt, an diesem Begräbniszug und Naturfest teilnahmen. Frühling und Herbst, Sprache und Schweigen der Natur, auch Lebens= und Todeszauber mischten sich in dem Bild; die Herzen schienen stillzustehen, aus der Brust genommen zu sein, sich dem schweigenden Zug durch die Luft anzuschließen. „Da ward mir das Herz aus der Brust genommen", hat ein Mystiker gesagt: Agathe erinnerte sich dessen.

Auch wußte sie, daß sie selbst diesen Ausspruch Ulrich aus einem seiner Bücher vorgelesen hatte , h . H ier in dem Garten, nicht weit von dem Platze, wo sie sich jetzt befanden, war das geschehen. Die Erinnerung wurde vollständiger. Auch andere Aussprüche, die sie ihm ins Gedächtnis gerufen hatte, fielen ihr ein: „Bist du es, oder bist du es nicht? - Ich weiß nicht, wo ich bin; noch will ich davon wissen ! " - „Ich habe alle meine Vermögen überstiegen bis an die dunkle Kraft! - Ich bin verliebt, und weiß nicht in wen! - Ich habe das Herz von Liebe voll, und von Liebe leer zugleich - !" Also klang in ihr die Klage der Mystiker wieder, s 48 9! in deren Herz Gott so tief eingedrungen ist , daß ihn wie ein Dorn, den keine Fingerspitzen fassen können. Viele solche selige Klagen hatte sie