MoE 5 | Zweites Buch | 1933-1936 | Zweite Fortsetzungsreihe

EINE ART ENDE

 
Band 5 (mit Seitensiglen und einfachem HTML-Code

Schmierblatt Aufbau


Eine Art Ende
I Kapitel Rachel / Soliman / Arnheim / Diotima.
I Kapitel Lindner. (Eventuell den Mystik-Abschnitt in der Form der Zähmung hieher.) / Graf Leinsdorf / eventuell General.
I Kapitel Leo Fischel Werden eines Tatmenschen.
I Kapitel Clarisse – Ulrich – Walter (Rückreise).
I Kapitel Ulrich / Rachel, Ulrich / Leo Fischel, Ulrich / Schmeißer.
I Kapitel Hofaufzug.
I Kapitel Ulrich – Leo Fischel (wieder auf der Höhe) (mit Erzählung von Hans Sepp).
I Kapitel Rachel/ Clarisse / Moosbrugger.
I-2 Kapitel Clarisse III (Zweite Reise und Ausbruch).
I Kapitel Aussprache Ulrich / Gerda / Hans Sepp.
Wie löst sich die Testamentsfrage?
I Kapitel General – Tuzzi – Diotima (General als Erlöser, Kanonenauftrag, irgendwie Leo Fischel). Anschließend Parlament mit Ulrich. Eingeflochten Lindner – Graf Leinsdorf.
= 3 Kapitel Gerda, Leo Fischel und andere exclusive Hans Sepp Selbstmord (Jetzt inklusive: 4).
I Kapitel Lindner – Peter.
I Kapitel Lindner – Schmeißer – Selbstmord
I Kapitel Diotima – Ulrich (Tuzzi im Amt) (Diotima fragt Ulrich nach Agathe: Es war doch nicht ganz gewöhnlich zwischen Ihnen?) Er Sie über Arnheim. (Eventuell Hans Sepp – Selbstmord).
I Kapitel Aussprache Ulrich – Arnheim – Mobilmachung.
I Kapitel Ulrich über (Agathe) – Lindner (und Hagauer).
I-2 Kapitel Clarisse im Irrenhaus (Clarisse – Walter).
I Kapitel Schlußsitzung.
2 Kapitel Ulrich – Agathe und Mobilmachung.


Inhaltsverzeichnis


Am Telefon. Leo Fischel ruft an – selbstlos, im Schmerz – Kaufen Sie Schweizer Franks, Dollar, Hollandgulden. Ware ist zu kompliziert. Verwunderlich, als Walter anruft. Aber er weiß Rückkunft von General. Ulrich ruft nach Leo Fischels Anruf General an, um zu erfahren, was an Mobilmachung und dergleichen Wahres ist. Eventuell: Ulrich ruft auf Gerdas Wunsch an. Denkt sich ihn in atemraubender Tätigkeit. Aber General – Bildungsreferat und Referat Graf Leinsdorf – hat unendlich viel Zeit. Was er vorher nicht sagt. Schickt ihm Passierschein. Niemand will die Schlußsitzung der Parallelaktion bei sich haben. Endlich Graf Leinsdorf oder Arnheim im Hotel? Durch deutsche Botschaft darum gebeten?
Clarisse. Orgasmus: Wo? Wollust des Genies.
3. Kapitel. Tagebuch.
4. Post. Brief von Hagauer. Ulrichs Zustand ohne Agathe. Zögernd geöffnet. Aber jetzt muß man doch. Hagauer ist schon wochenlang hier. Telefongespräch. Erfährt: Graf Leinsdorf und Hagauer. Clarisse? Griechen-Sache und so weiter.


I. Leo Fischel als Weltbote


Ulrich trifft Leo Fischel im Zug.

Veränderungen, Hans Sepp. Selbstmord.

Durch den Zug gehend, bemerkte Ulrich ein bekanntes Gesicht, hielt an und kam darauf, daß es Leo Fischel sei, der allein in einem Abteil saß und in einem Stoß dünner Papiere blätterte, den er in der Hand hielt, den Zwicker weit vorn auf der Nase, mit den rötlich blonden Favorits wie ein Lord der Sechziger Jahre aussehend. Er war so bedürftig nach Teilnahme am alltäglichen Leben, daß er fast mit Freude seinen alten Bekannten begrüßte, den er monatelang nicht gesehen hatte.
Fischel fragte ihn, von wo er komme.
»Aus dem Süden« erwiderte Ulrich unbestimmt.
»Man hat Sie lange nicht gesehn« sagte Fischel bekümmert. »Sie haben Unannehmlichkeiten gehabt, nicht?«
»Inwiefern?«
»Ich meine nur so. In Ihrer Stellung bei der Aktion, denk ich.«
»Ich bin doch nie zu ihr in einer Beziehung gestanden, die man eine Stellung nennen könnte« wandte Ulrich etwas entrüstet ein.
»Eines Tags sind Sie verschwunden« sagte Fischel. »Niemand hat gewußt, wo Sie sind. Ich habe daraus geschlossen, daß Sie Unannehmlichkeiten hatten.«
»Bis auf diesen Irrtum sind Sie auffallend gut unterrichtet: Wieso?« fragte Ulrich lachend.
»Ich hab Sie doch gesucht wie eine Spennadel. Schwere Zeiten, böse Geschichten, mein Lieber« antwortete Fischel seufzend. »Der General hat nicht gewußt, wo Sie sind, Ihre Kusine hat nicht gewußt, wo Sie sind, und Ihre Post haben Sie sich nicht nachkommen lassen, wie man mir gesagt hat. Haben Sie einen Brief von Gerda bekommen?«
»Empfangen nicht. Vielleicht finde ich ihn zu Hause vor. Ist etwas mit Gerda?«
Direktor Fischel antwortete nicht; der Schaffner war vorbeigegangen, und er winkte ihn herein, um ihm einige Telegramme mit dem Ersuchen zu übergeben, daß er sie in der nächsten Station absende.
Jetzt erst bemerkte Ulrich, daß Fischel erster Klasse fuhr, was er nicht von ihm erwartet hätte.
»Seit wann verkehren Sie mit meiner Kusine und dem General?« fragte er.
Fischel sah ihn nachdenklich an. Er verstand offenbar nicht gleich diese Frage. »Ja, so« sagte er danach. »Ich glaube, da waren Sie noch gar nicht abgereist. Ihre Kusine hat mich wegen einer Geschäftsangelegenheit konsultiert, und durch sie habe ich den General kennen gelernt, den ich damals noch wegen Hans Sepp um etwas ersuchen wollte. Sie wissen doch, daß sich Hans erschossen hat?«
Ulrich fuhr unwillkürlich hoch.
»Ist sogar in einigen Zeitungen gestanden« bekräftigte Fischel. »War eingerückt zum Einjährigendienst beim Militär und hat sich nach einigen Wochen erschossen.«
»Ja, weshalb denn?«
»Weiß Gott! Ehrlich gestanden, er hätte sich ebenso gut auch schon früher erschießen können. Immer hätte er sich erschießen können. Er ist ein Narr gewesen. Aber ich habe ihn zum Schluß ganz gern gehabt. Sie werden es nicht glauben, aber mir hat sogar sein Antisemitismus und sein Schimpfen auf die Bankdirektoren gefallen.«
»Hat es zwischen ihm und Gerda etwas gegeben?«
»Großen Krach« bestätigte Fischel. »Aber das ist es nicht allein gewesen. Hören Sie: Sie haben mir gefehlt. Ich habe Sie gesucht. Wenn ich mit Ihnen rede, habe ich nicht das Gefühl, es mit einem vernünftigen Menschen zu tun, sondern mit einem Philosophen. Was Sie sagen – erlauben Sie einem alten Freund, das zu bemerken – hat nie Hand und Fuß, aber es hat Herz und Kopf! Also was sagen Sie dazu, daß sich Hans Sepp erschossen hat?«
»Haben Sie mich darum gesucht?«
»Nein, nicht deswegen. Wegen Geschäften und wegen dem General und Arnheim, mit denen Sie befreundet sind. Wie Sie mich hier sehen, bin ich nicht mehr in der Lloyd-Bank, sondern bin ein eigener Mann geworden. Ein großes Wort, sage ich Ihnen! Ich habe große Unannehmlichkeiten gehabt, aber jetzt geht es mir, Gott sei Dank, glänzend –«
»Unannehmlichkeiten nennen Sie, wenn ich nicht irre, daß man seine Stellung verliert?«
»Ja; ich habe meine Stellung bei der Lloyd-Bank Gott sei Dank verloren; sonst wäre ich heute noch Prokurist mit dem Titel eines Direktors und bliebe es, bis man mich in Pension schickte. Als ich das aufgeben habe müssen, hat meine Frau die Scheidung gegen mich eingeleitet –«
»Was Sie sagen! Sie haben wirklich viel Neues zu erzählen!«
»Ts!« machte Fischel. »Wir wohnen nicht mehr in unserer alten Wohnung. Meine Frau ist für die Dauer der Scheidung zu ihrem Bruder gezogen –« Er holte eine Visitenkarte hervor. »Und das ist meine Adresse. Ich hoffe, Sie besuchen mich bald.« Auf der Karte las Ulrich einige jener vieldeutigen Titel wie »Import und Export« und »Transeuropäische Waren- und Geldverkehrsgesellschaft« und eine vornehme Anschrift. »Sie können sich nicht vorstellen, wie man von selbst aufsteigt,« erklärte ihm Fischel »wenn bloß einmal alle diese Gewichte wie Familie und Beamtenstellung, vornehme Verwandtschaft der Frau und die Verantwortung vor den großen Menschheitsgeistern von einem genommen werden! Ich bin in wenigen Wochen ein einflußreicher Mann geworden. Auch ein wohlhabender Mann. Vielleicht werde ich übermorgen wieder nichts haben, aber vielleicht auch noch viel mehr!«
»Was sind Sie jetzt eigentlich?«
»Das kann man einem Außenstehenden nicht so mir nichts, dir nichts erklären. Ich mache Geschäfte. Warengeschäfte, Geldgeschäfte, politische Geschäfte, künstlerische Geschäfte. Die Hauptsache ist bei jedem Geschäft, daß man sich im rechten Augenblick davon zurückzieht; dann kann man nie daran verlieren –« Wie nur je in alten Zeiten schien es Leo Fischel Freude zu bereiten, sein Tun mit »Philosophie« zu begleiten, und Ulrich hörte ihm neugierig zu.
Dann Ulrich: »Bei alledem ist es mir aber auch wichtig zu erfahren, was Gerda zum Selbstmord von Hans gesagt hat.«
»Daß ich ihn ermordet hätte, behauptet sie! Dabei waren sie schon vorher auseinander gekommen.« Gerda wohnt weder bei Vater noch bei Mutter, sucht aber den Vater von Zeit zu Zeit auf, um sich Geld zu holen zur Aushilfe in ihrer Selbständigkeit.
Nimmt aber nie zuviel. Sie wird den Vater auch diesmal am Bahnhof erwarten.
Ganz zum Schluß – Lesen Sie denn keine Zeitungen?! Ulrich hat drei oder mehr Wochen lang keine gelesen – erfährt er, daß Krieg droht.
Ist das möglich? Leo Fischel über Krieg und ähnliches. (Auch über General und Diotima.)
Am Bahnhof ist wirklich Gerda und es erscheint allen natürlich, daß sie Ulrich begleitet. Wagen fährt. Der schlanke Körper. So viel dünner als der Agathes und weicher als der von Clarisse. – In der Wohnung burschikose Erzählung von der Karriere des Vaters. Sie hat wohl die Geschichte von Hans Sepp halb überwunden.
Ungewiß, wo und wie diese Geschichte zu erzählen ist; denn sie sollte selbständig eingeschaltet werden. Eventuell zwischen Reise. Es ist gleichgültig, – wenn es vergessen worden sein sollte – wer Hans Sepp ist.
Gerda besieht das Schlafzimmer. Wie wird sie mit dieser Geschichte fertig?


2. Politisch unverläßlich


Wagenfahrt mit Gerda.

Hans Sepp. Antizipation des Kriegs.

Mobilmachungs-Stimmung.

Gerda fährt mit. Der schlanke Körper. Sie schweigt. Teils ist es das bange Neben-Ulrich-Sitzen, teils der Vorsatz, wie sie später loslegen will, was in diese Lage im Wagen nicht paßt. (Erinnert an Fahrt mit Bonadea. Damals war Ulrich von einem dieser niedergeschlagen worden, die jetzt ein Volk waren.) »Wundern Sie sich nicht darüber, daß ich mit Ihnen fahre?«
»Ich bin viel zu müde, um mich über irgendetwas zu wundern.« Schweigen, der schlanke Körper usw. Er denkt an Hans Sepp. Er hat plötzlich Sympathie für ihn. Ein Kopf, der nicht richtig denken konnte, trotzdem an nichts anderem gescheitert ist als sein eigener besserer Kopf! Die Sympathie läßt ihn sehen. Schließt ihm Bilder auf. Er meinte es lebendig genau zu sehen. Hans Sepp mußte Marsch-Eins üben… Daraus allgemein: Weltzweck, beschossen zu werden. Der Mensch hat keine persönliche Zeichnung auf diesen Bildern, sondern ist Zielfläche. Es wird niemals wieder etwas so Überflüssiges geben wie persönliche Zeichnung. Soll man den Menschen niemals als Zielfläche behandeln dürfen? Aber die Versuchung ist ungeheuer groß, wenn er so leicht dieses Aussehen annimmt. Ulrich unterlegt Hans Sepp seine eigenen Empfindungen: Dämonie dieser Zeichnungen, das grausame gutmütige Gesicht des Korporals! Das urzeitliche Gefühl, einem fremden Stamm in die Hände gefallen zu sein. Die Offiziere als Götter dieses Stammes –.
Plötzlich fragt er: »Warum ist Hans besonders schlecht behandelt worden?«
»Er ist als p. u. zum Militär gekommen« antwortete Gerda und sprach die fremde, aus der Welt der staatlichen Verwaltungsbüros stammende Abkürzung knapp und sachlich aus.
»Er hat doch nie etwas anderes als harmlose Dummheiten geredet?« fragte Ulrich. »Wie ist er um Himmelswillen zu dieser amtlichen Verfemung gekommen?«
»Papa« sagte Gerda kurz.
»Unvorstellbar! Papa ist doch nicht rachsüchtig?«
»Und dein Graf, deine Kusine, dein General!« Trotz seiner Anteilnahme an Hans Sepps Schicksal hörte Ulrich mehr auf dieses »Du« als auf die kalt vorgebrachte Beschuldigung.
Dieses schlanke Weibsbild an seiner Seite schien ihm das »dein« wie eine Handschelle anlegen zu wollen. (So soll es auch wirken! Man soll glauben, daß es zwischen Gerda und ihm zu etwas kommen wird. Statt dessen ist es dann Diotima.)
»Sie haben es ihm eingebrockt!« ließ Gerda ohne Tonfall vernehmen!
»Niederträchtig!« sagte Ulrich. »Inwiefern ich?«
»Nicht du! Deine Freunde!«
In Wahrheit hatte es sich so zugetragen: Hans Sepp war schon vor fast einem Jahr, im Herbst, kurz ehe Ulrich ihn kennen lernte, einberufen gewesen, um sein Militärjahr abzudienen, nach wenigen Tagen aber auf unbestimmte Zeit entlassen worden, weil seine Mutter der Stütze durch seinen geringen Verdienst beraubt war und wohlmeinende Freunde sich ins Mittel legten. Er hatte seither nie mehr ans Militär gedacht, aber zu einer gänzlich ungewöhnlichen Zeit, Mitte Juni wurde er ohne Angabe von Gründen wieder eingezogen und einer nachträglichen Ausbildung einzeln und allein unterworfen, was in der Geschichte der k.u.k. Armee vielleicht zum erstenmal seit Beginn der Zeiten vorkam. Es mag sein, daß irgendeinem Kanzleikorporal ein Formfehler unterlaufen war, begangen durch die automatische Einberufung nach unbeachteter Überschreitung oder einfach nach Ablauf der Zeit, für die er zurückgestellt gewesen; es mag sein, daß sich dieser Fehler zu einem ersten hinzuschlich, der schon daraus bestanden hatte, daß man den Enthobenen nicht bis zur alljährlichen Einberufung im Herbst, sondern für eine begrenzte Zahl von Monaten nach Hause geschickt hatte: jedenfalls wären diese Fehler so rasch wie möglich wieder gutgemacht worden, denn der zur Unzeit zum Militär Gekommene bedeutete für sein Regiment keine geringere Verlegenheit als dieses für ihn. Ulrich, der diese Angaben doch nach und nach von seiner Nachbarin erfahren hatte, überlegte, daß es schon die Zeit der Truppenübungen in großen Verbänden, zumindest die der Regimentsübungen gewesen sein müsse und daß man den »Zivilisten« nicht gut auf diesen Kriegspfaden habe mit sich schleppen können.
Ein einsichtiger Regimentskommandant hätte den Burschen denn auch gewiß spazierengehen lassen und den Antrag gestellt, ihn bis zum Herbst wieder nach Hause zu schicken, bis die Anfrage, was mit ihm zu geschehen habe und welche Absichten die Weisheit des Kriegsministeriums zu dieser unzeitgemäßen Einberufung bewogen hätten, eindeutig beschieden gewesen wäre; wäre nicht zugleich mit Hans Sepp ein Dienststück der Zivilbehörden zum Militär gekommen, das ihn als »politisch unverläßlich« bezeichnete, eben jenes »p.u.«, von dem Gerda fachlich berichtet hatte und womit man in Kakanien staatsfeindliche Individuen brandmarkte. P. U. – das hieß: Er darf niemals Offizier werden; gebt Obacht auf ihn und den zersetzenden Einfluß, den er auf andere ausüben kann; sucht ihn, wenn es geht, zu bessern und behandelt ihn streng und gerecht. Und da die Gerechtigkeit beim Militär streng ist und ein Regimentskommando keine Einsicht in die Gerechtigkeit des Kriegsministeriums hat, so bedeutet das letztere Stren ge und abermals Strenge. Auf keinen Fall konnten Hans Sepp die Erleichterungen zugebilligt werden, die er sonst genossen hätte.
Hans Sepp wußte nicht, wer und was ihm diesen Leumund eingetragen hatte, ein Feind des Kriegs, des Militärs, der Religion, der Habsburger, des Staates im allgemeinen und Österreichs im besonderen zu sein, verdächtig großdeutscher Machenschaften, Geheimbündlerei, Umsturzes der Staatsordnung.
Mit allen diesen Verbrechen verhielt es sich aber beim Militär in Kakanien so … Und wie es einstweilen ideologisch dasteht: Alle Reserveoffiziere waren p.u., großdeutsch oder großslawisch oder italienisch usw. (Auf nationalistische Weise heißt das, sich über die Gegenwart hinaus sehnen.) (Eigentlich ist das: Verlangen nach fester Geisteshaltung und aktiv gutem Gewissen; Krieg. – Man will glauben – erster Versuch.) Patriotismus war in Kakanien auf Hoflieferanten beschränkt. – Überzeugung ist identisch mit Glück. Die Zeit sucht Überzeugung – Eingeistigkeit. Nach der politischen Überzeugung (Bolschewismus, Nationalsozialismus), die irgendwann aufhört, Glück zu geben, kommt aber wieder die Zeit des reellen Suchens: Kakanien ist eine Phase zurück und vor.
Auch die aktiven Offiziere waren nicht frei von den Vorwürfen, die eine unbekannte Behörde gegen Hans Sepp erhob. Sie waren antidemokratisch, latent revolutionär. Vor Patriotismus wurde ihnen übel. Religion nahmen sie nicht ernst. Bewunderten den deutschen Militarismus. Ganz unter sich nahmen sie es nicht einmal übel, wenn jemand ein Feind des Militärs war. Trotzdem haben sie im Krieg mit Begeisterung ihre Schuldigkeit getan.
Anmerkung: Beachte, daß p.u. auch symbolische Bedeutung haben soll, wovon noch kaum Gebrauch gemacht worden ist. Was bisher anklang, ist: Behördenapparat kontra Mensch wie schon oft, und sogar flüchtiger im Witz als früher. – Später kann ihm als eine geringe gewisse Vertiefung entsprechen: Die Staatsmaschine geht durch. – Ein wenig klingt auch an: Gute Menschen können eine böse Gemeinschaft bilden bzw. das könnte hier in einem Exempel und ohne Theorie vorgearbeitet werden. Ist also einzuarbeiten. Etwas, was als fraglich noch im Verhalten des Staats und seiner Exponenten gegen Hans Sepp anklingt, ist: das Verhalten gealterter Staaten, also zum Hauptthema Kakaniens Untergang gehörend.
Im Text als Begründung: Man denkt immer anders, als man handelt. Am Rand: Krieg und Frieden, das sind zwei ganz verschiedene Zustände, was noch nicht deutlich genug verstanden wird.
Es gibt Menschen, die origineller im Denken, und solche, die es im Handeln sind.
Im ganzen: Es gibt zwei Arten von Gedanken: die Gedanken, die man im Kopf hat, und die Gedanken, die außerhalb jedes deponiert sind. (Text sagt es nicht gut.) Zielt auf: Häuser strahlen Gedanken aus. Originalstelle: Wiederholt aber eigentlich das bei Meinung Gesagte. Dritte Gehirnhälfte, deren Ausmaß nicht richtig geschätzt wird. Darunter sind die Reservegedanken, die so in Depot aufbewahrt werden wie die Uniformen für die Kriegszeit. Plötzlich fühlt man sie wieder. Glocken, Zeitungston. Es wird auf Wortgespenster zurückgegriffen. Der Geist tritt ausgerüstet und behangen mit Vergessenem an.
Ulrich fühlt es an der Stimmung der Straßen. (Das hat eine indirekte Fortsetzung und Steigerung in dem mystischen Gefühl bei Mobilmachung.) Läßt anhalten und kauft ein paar Zeitungen. Entschuldigt sich bei Gerda. Vielleicht wechseln sie ein paar Worte über die Lage.
Zwischen dieses Mißverhältnis der persönlichen und allgemeinen, der lebendigen und Reservegrundsätze war Hans Sepp geraten. Ulrich kann es sich gut vorstellen. Und auch den Narren, der noch weniger Kraft hatte als er selbst. Durch p.u. war er aus dem Privaten herausgehoben und zum Gegenstand des öffentlichen Denkens gemacht. Die allgemeinen Gefühle sind ihm zugewandt, die den Vorgesetzten selbst Verdruß bereiten und zur Zügellosigkeit neigen (weil sie nicht in die eingeübte persönliche Reputation verflochten sind).
Er wurde nicht mißhandelt, aber ohne ausgleichendes Wohlwollen vorschriftsmäßig behandelt. (Siehe den Ausgleich des Herzens bei Bonadea.) Durch seine Abwesenheit wirken die Gebäude usw. fürchterlich. Kalte Auskristallisation des Gemeinschaftsgeistes, des Geistes der Öffentlichkeit, und dergleichen.
Füge hinzu: Während alle ergriffen zu sein scheinen, sieht Ulrich diese Seite, den schon wieder albisch gewordenen aufgerührten Geist.
Hans Sepps Geist hat alle Kräfte verloren, seit man ihm eine Militärmütze aufs Haupt gesetzt hat. Die Welt des Geistes verblaßt zu einem Gespenst, wo tausend Menschen kaserniert sind (wenn sie auch nicht da sind).
Auf Befragen erzählt Gerda mit eigentümli cher Gleichgültigkeit: Sei aus dem Haus gegangen? Bei der Mutter eines seiner Freunde? (Fraglich, ab hier.) Sah ihn selten. Hat ihn einige Mal nach dem Dienst abgeholt, er war aber nicht mehr er selbst. Er wich ihr in letzter Zeit aus. Trank. Trieb sich mit Soldaten umher. »Mein Inneres ist jetzt nichts als das Futter eines Militärmantels« hatte er einmal gesagt »und es macht mich neugierig, wie ich mich darin bewege.«
Füge hinzu: Über den Selbstmord sagte sie aus eigenem kein Wort. Stellenweise hatte Ulrich dieses Mädchen beinahe vergessen.
Als der Wagen anhielt, sagte sie: »Warum sprechen Sie kein Wort?!« Ging rasch die Treppe hinauf und streifte im Gehen ihren Hut ab …
Nachtrag: Hans Sepp hat die militante Strömung des »Zeitgeistes« vertreten.


3. Gerda bei Ulrich


Familiengeschichte. Gefühl der jungen Generation, dass eine neue Zeit anbricht.

Kommt Krieg oder nicht? Fragt bei General an.

Burschikose Erzählung von der Karriere des Vaters. Sie hat die Geschichte mit Hans Sepp anscheinend überwunden. – Besieht dann das Schlafzimmer. Wie wird sie mit dieser Geschichte fertig?
Hereinnehmen, was von Kriegsdrohung usw. noch zu sagen ist, das heißt, nicht von Leo Fischel gesagt worden. Das veranlaßt Ulrich, während ihrer Anwesenheit oder nach ihrem Gehen, dem General zu telefonieren.
Dazu Gerda und der Krieg: Krankenpflegerinnenabsicht; vielleicht auch darum mit Ulrich gegangen, damit er ihr durch General die Möglichkeit verschafft. Die junge Generation hat das Gefühl: Der Krieg ist für uns da, damit wir zu Tätigkeit und Wichtigkeit kommen; eine neue Zeit beginnt. Manchmal sind ja gerade junge Menschen beklommen (Ulrich sagt: Mit 30 Jahren ist man tapferer als mit 20, weil man weiß, das Leben bietet nur noch diesen Ausweg, oder ähnlich), aber sie haben unrecht, sind lasch.
Als Grundlage die Erzählung der Familiengeschichte: Papa war pleite! Ist kurz und verträgt Ergänzungen. Leo Fischel und die Tänzerin?
Vergiß nicht: Gerdas Du und ähnliches.


4. Aussprache mit General


Rest des über die Nebenfiguren zu erfahrenden.

Ulrich fragt den General, ob er etwas über Clarisse gehört habe.

Rundes Gesicht, Armbewegung.


5. Graf Leinsdorf und Hagauer


Post.

Früher schon vergewissert, dass nichts von Agathe darunter.

Hagauer.

Beginn: Graf Leinsdorf kommt auf die Suttner. Das ist jetzt dringend und Silbergulden tritt zurück, bleibt mehr Phantasie und Erholung. Die Linie setzt Graf Leinsdorf General auseinander. Während Graf Leinsdorf konkret ist, redet General von Gleichschaltung und allgemein, setzt aber schon dem Suttnerprojekt das Bewaffnungsprojekt entgegen. Es ist ziemlich eins. Muß aber schon Graf Leinsdorfs Interesse für Lindner und Hagauer enthalten.


6. Letzte Tagebuch-Eintragung


Telefonat Leo Fischel. »Brief«.

Kommt Krieg oder nicht? Fragt bei General an.

Eventuell: Ohne Telefonat persönlich. Liest Brief vor. Tänzerin. Rest Familiengeschichte: Hans Sepp Selbstmord als Ulrichs Vorstellung.

Ulrich trifft ihn an. Fortsetzung Leona – Aufstieg
– Tänzerin. In einem erledigen mit Werden eines Tatmenschen.


7. Nachtfest


Trifft auch Arnheim. Diotima-Szene. Vorher Diotima erzählt (in Hosen) von Bonadea.

Diotima fragt Ulrich nach Agathe. »Es war doch nicht bloß so ganz einfach zwischen Ihnen?« Er wieder fragt sie nach Arnheim.
Was ist Schicksal? Jedenfalls hatten Ulrich und Agathe Schicksal. Schicksal haben (der Nation wie des Einzelnen) hängt aber auch mit Maskierung haben zusammen. Darum dieses Gespräch beim Gartenfest.
Im Gärtnerhaus schläft man natürlich nicht. Ulrich läßt sich den Schlüssel zu einer Gartentür geben, holt einen Wagen. Diotima Abendmantel über Uniform. Im Wagen legt er seine Hand auf ihren Schenkel. Diotima: …!
Ulrich: Sie wären nicht so streng, wenn Sie wüßten, wie unglücklich ich bin. So etwas rührt sie. Sie erzählt, hier oder früher, Tuzzi sagt: Krieg. Ulrich: So etwas kann ich mir gar nicht vorstellen. Diotima: Solange geredet, bis… Ulrich: Dann bestünde ja auch Hoffnung vom Unfaßbaren so lange zu reden, bis… In Serbien, Patrioten, Leute, die von unserer Kultur nichts wissen wollen, die heroisch sind … Ulrich: Ein Rückfall in den Vor-Heroismus? Möglich. (Perspektive nach vorn!)
Im Garten: Journalisten halten sich an ihn, vor dem sie weniger Scheu haben.
Arnheim weiß, daß zwischen Diotima und Ulrich etwas vorgeht. Mimetus des Koitus weckt Eifersuchtsvorstellungen. Ein Grund, warum Ulrich nicht bis ans Ende geht. Vgl. Jagd, Szene mit Diotima. Hauptstelle für Agein–Pathein in theoretischer Erklärung bzw. Grundtheorien (damit natürlich auch anderer Zustand, Arnheim, Diotima usw.) Es hat Wahrscheinlichkeit für sich, daß Ulrich am ehesten zu Diotima, der halb Geliebten, halb Gehaßten, davon spricht. Und das Spiel mit der Kleidung gibt eine vorzügliche Begleitung ab.
Arnheim weiß, daß zwischen Ulrich und Diotima etwas vorgeht. Gespräch über Kriegsgefahr. Arnheim hat von Vater den Befehl zu bleiben.
Verführung: Arnheim als Ursache. Direkte Berührung mit Wenn ich mich einmal vor Ihnen ganz schlecht und gemein benähme …
Hinrichtung am Morgen. Koitus am Abend – Koitus nicht sexuell machen; ganz nur Reiz, einen Menschen sichtbar zu machen. – Alte österreichische Kultur fortführen bis Bruch mit Arnheim und Koitus Ulrich. – Im Koitus Stoßen und Vergehn wieder erlebt; macht so bös.
Knappeste Formel für Diotima – Ulrich – Arnheim: »Diotima – Arnheim – Ulrich aufs kürzeste.« Gilt vorläufig fürs Ganze.


8. Irrenhaus


Nachgeholte letzte Reise, Internierung und die aufgeregten Szenen im Irrenhaus.

Clarisse – Ulrich – Walter: Wahrscheinlich: Rückreise. Du hast keine Ahnung, wie ich bin …


9. Lindner


Agathe. Ulrich. Bleibt übrig: Lindner. Peter.

Selbstmord. Tiefster Punkt.

Während Reise.

Zugleich ironisch weltanschauliches Kapitel durch Aussprache mit Schmeisser.

Peter zurückgekehrt. Aufstieg Lindners (Graf Leinsdorf) erzählt General.

Graf Leinsdorf Lindner: Gespräch über Schule; Lindner arbeitet gegen Hagauer (und Ulrich). Gewinnt auf Graf Leinsdorf via Laienreligiosität steigenden Einfluß. Gegen Freiheit. Verdrängt Hagauer. Graf Leinsdorf pflegt mit ihm diese Ideen neben dem Kanonenprojekt.

Zu den Lindner-Kapiteln:

a) Agathe ist plötzlich verschollen und bleibt Peter weiß Näheres, quält aber bloß den Alten. (Festen Boden gegenüber den Schwätzern und Wortkrämern. Entwicklung ist immer mit Regression verbunden. Schweigen. Liebe deine Feinde ist zu schwer, aber denke ruhig über sie nach, führt auch zu dem, was er wünscht. Wehrt sich gegen Liebe. Arbeit. Indirekte Askese. Wert des Zuhörens und Schweigens (sowohl gegen Peter wie gegen Agathe gerichtet). Tröstet sich mit Versuch siegreicher Energie. (Eventuell hier einflechten seine Berufung zu Graf Leinsdorf.) Mit Festigkeit nein sagen. Selbstbeherrschung mit bestem Selbst. Traurige Tröstungen. Wie wenig können wir dankloses Wirken vertragen. Die Sehnsucht wächst. Liebesempfindungen des jungen Mädchens am alten Mann. (Ihre Macht ist eine indirekte Rechtfertigung für Ulrich / Agathe, wie überhaupt das Ganze.) Die Parallelaktion richtet ihn auf. Er trifft auf Hagauers Wirkung und strafft sich. Menschliche Haltung lebt davon, daß es der andere falsch macht. Hagauer ist Lindner instinktiv unangenehm; er sucht Gründe, die es ihm erlauben, ihm zu schaden. Er hat mit Graf Leinsdorf ein Gespräch über Schule. Einiges Material zu seinen Vorschlägen.
Schmeichelei: welche Auferstehung geht durch alle Büros … Rächende Macht im Wirtschaftsleben, Egoist …: das heißt: erlöst Graf Leinsdorf von Wirtschaftsplänen durch Prävalenz des Moralischen. Berührt ›das Wahre‹. Führt durch Verbrecher – Kind – Kitsch auf Schulprojekt. Feste Sitten - wahre Soziale Störungen – sittliche Störungen. Soziale Frage muß erst im Haus gelöst werden. Erziehung als Schutz vor Liebe. Die unangenehm-dogmatische Seite kommt zur Geltung. Wo sie allgemein sind, sind sie am schlimmsten. (Gegensatz zu Ulrich–Agathe: überhebliches und demütiges Verhältnis zu Gott unter vertauschtem Schein.) Hauptträger der negativen Pflichtmoral und ihrer Schäden. Mit Graf Leinsdorf gegen die scharfmacherischen Versuche Nation und Staat. Ebenso gegen den Liberalismus. Christliche Moral gegen mathematische. Pessimist mit Graf Leinsdorf: Erlösung von der Knechtschaft durch Gehorsam. Schlecht, wenn nicht Hilfe der Kirche. (Im Vergleich mit Ulrich / Agathe wieder nur äußerlichformalistisch.) Eventuell: Ulrich und Agathe erscheinen ihm in solchen Augenblicken als Unselige. Das Verlegen ins Rationale, wodurch ihm Agathe inkonsequent usw. erscheint.
Typus dieses Kapitels: Entweder Lindner – Peter mit Einflechtung Graf Leinsdorf. Oder Lindner – Graf Leinsdorf mit Einflechtung Peter. Er hat eine Seele gefunden und gewinnt sie beinahe. Er hat sie verloren und gerät in Stürme. Beginn von: Fest … aufgerüttelt … mystischer Erlebensgrund.
b) Gewinnt auf Graf Leinsdorf, der vor der Religion als dem Unzeitgemäßen doch etwas Angst hat, dagegen in der tätigen Laienreligiosität große Beruhigung findet, steigenden Einfluß. Geht auf Schulprojekt ein, fordert aber (Einfluß des Agathe-Erlebnisses) Krankenhaus- und Dieses wird ein Nebenast von Graf Leinsdorf – Parallelaktion, während der offizielle schon Kanonen ist. Fester Boden – abstrakte Kritik. (Haß gegen Individualismus und Materialismus). Allerdings sind die Moralen verschieden, aber – quasi Naturgesetze – aber Seherblick. Scheinwesen der Gewalt. Meisterung der selbstsüchtigen Instinkte gemeinschaftsbildend. In der Schule durch Unterordnung Willenskraft pflegen. Entwicklung ist immer mit Regression verbunden. Die niedere Natur muß Gehorsam lernen. Gegen Freiheit. Soziale Bevormundung aus innerer Unsicherheit. Fundament der sozialen Bildung muß zunächst Isolierung vom Sozialismus sein. Mit solchen Ideen spricht er von der Schule ganz das aus, was Graf Leinsdorf vom Staat meint. Verdrängt Hagauer, der entschädigt wird.
Er kommt aber keineswegs von Agathe los. Man überzeugt nur den, dessen Gründe man selbstlos durchlebt, führt ihn immer wieder zurück.
Durch Mitleid wissend: mit dieser schmerzhaften Anspielung leitet er Krankenhausprojekt ein. – Krankenpflege. – Lüge soll am Krankenbett ausgeschlossen sein. – Krankenhäuser sollen religiös geleitet werden. – Hochschulen der angewandten Liebe. – Hochschulen des Trostes. (Kontrast dazu Gerda).
Gegen Liberalismus: Zu leichte Rationalisierung, Zeit des Glaubens und Aberglaubens als Reaktion darauf.
c) Ertappt Peter auf Verhältnis. Predigt aber hier als Ausbruch. Eifersuchtsgefühle gegen diesen jungen Mann, der den Mut hat, zu tun, wohin es ihn zieht. Eigene Hemmungen als Ekel und Angst auf Peter projiziert.
d) Peter ist fort. Ahnbarer Zusammenhang mit Agathe. (Er hat Agathe zuletzt mit Peter ) Seherisches Mitgefühl entwickelt sich zu einer unerträglichen Qual! Die ganze Krankenhausphantasie war nichts als ein Kniff der Seele. Erst dadurch, daß er Agathe verachtet und liebt, erwacht Seele. Selbstmordgedanke wird zwanghaft übermächtig. Als ob der Teufel in ihn gefahren wäre. Will sich töten und gerät auf gleiche Bank wie Schmeißer. Ein ordentlicher Mensch sagt, wohin er geht. Also Donaulände. Dort nur eine Bank. Dadurch Schmeißer. (Ein Christlichsozialer und ein Sozialdemokrat wollen sich töten aus enttäuschtem Idealismus. Selbe Bank, selber Baum oder selbes Ufer. Sie kommen nicht dazu, weil sie sich gegenseitig im Weg sind. Zum Schluß sprechen sie sich aus. Dort kommt auch Ulrich dazu und erzählt sein Galizienprojekt.) Ziemlich unwahrscheinlich. Schmeißer könnte nur hinkommen durch Typik des Orts. Das Sich-Hindern, bei Tag, oder Morgen ähnlich R. M. möglich. (Wiedersehn mit Agathe?) Agathe könnte hinkommen so, daß sie Peter trifft, ihn nach Hause bringt (der wegen Geldmangel ohnehin will) und Zettel oder Brief findet, nachdem Lindner schon einen Tag abwesend war und umherirrte. (Lindner aus einem Tschecherl durch eine Prostituierte in die Gegend gebracht, wäre nicht übel.)
ad d) Schmeißers Ideologie (Wirtschaftsbedingtheit) gilt nur für den Durchschnitt. Die Welt des Geistes, das ist, des Genialen, hat ein anderes Gesetz. In Karikatur könnte das auch Lindner (statt oder neben Ulrich) sagen; und solcher Art Disput.
Eine solche Auseinandersetzung, oder ohne sie Schmeißers Werdegang, hängt mit Soziale Fragestellung und Geistigen zusammen. – Von da wird die Entscheidung über d) kommen. –
e) Selbstmord war bloß Episode. (Wiedersehn mit Agathe: Überstandene Infektion.) Lindner steigt wieder auf. Krankenhausidee ist am Weg der Verwirklichung. Da bricht Krieg aus, Stahlbad, und reißt ihn mit sich; in ironischem Gegensatz zu Caritas und doch in Einheit mit dieser Moral. Sein Sohn ist da. Das Stahlbad wird die Welt bessern.
Lindner kommt durch Agathe auf den tiefsten Punkt seiner Weltfestigkeit und wird dann (ohne sein Zutun) aufgerichtet. Er empfängt eigentlich eine Belehrung durch die Kriegsstimmung und findet durch sie zum aggressiven, militanten und militärfreundlichen Glauben zurück.
Nachtrag: Das kleinlich Pedantische Lindners, das sich zur Kriegsstimmung entwickelt, ist auch der heroische Philister.
Lindner, hier, oder eventuell in früherem Kapitel: Verhältnis zur Mobilmachung, siehe dazu schon den Beginn seiner Schilderung in 39 (Tugut) als »Offizier«, der sich vor dem Strolch fürchtet, aber seine Tapferkeit auf die Polizei überträgt. Er ist persönlich feig, verlangt aber Tapferkeit vom Ganzen (damit hängt auch die »nichtschlagende Verbindung« zusammen): das ist wahrscheinlich der moderne Typus.


10. Der geknickte Prometheus


Clarisse als geknickter Prometheus


11. Schlußsitzung


Anfang: Niemand will die Schlußsitzung der Parallelaktion bei sich haben. Endlich Graf Leinsdorf: sie soll feierlich sein, nicht bloß ein im Stich lassen, nimmt sie zu sich. Wieder der Saal usw. wie bei der letzten Konferenz; aber diesmal ohne die Sekretäre. Und er hält die Schlußrede.
Vorher versammelt man sich (zeremoniös) in einem andern Raum. Das gibt Gelegenheit (oder auch kurze Gespräche im eiligen Weggehn), die andern Personen aufmarschieren zu lassen.
Dazu: Versöhnungsszene Tuzzi – Diotima: Tuzzi: Nun siegt die Vernunft. Er meint das gegen Pazifismus? Er meint: nun klärt sich die Lage; vielleicht: die sich bisher unbewußt hinter Pazifismus maskiert hat. Und am tiefsten: Vernunft gehört in den Bereich des Bösen. Moral und Vernunft sind die Gegensätze der Güte. (Das könnte, hinzugetreten, eventuell auch Ulrich sagen.)
Dann dominiert: Wir sind im Recht; nach den Regeln der Vernunft und Moral sind wir die Angegriffenen: Vielleicht Graf Leinsdorfs Rede. Alle: Wir verteidigen das Unsre (Heimat, Kultur). Arnheim: Die Welt geht vielleicht zugrunde oder in eine lange Hölle. – Aber er ist vielleicht nicht mehr anwesend. Wer?: Die Welt wird dann nicht an ihren unmoralischen, sondern an ihren moralischen Bürgern zugrunde gehn.
Arnheim zu Diotima: … vorhergesagt … Diotima zu Arnheim: … Befreiung der Seele … Arnheim zu Ulrich: melancholisch. Mehrungsmittel. Zusammenbruch Humanität. Was werden Sie tun? Ulrich: Ich gehe in Krieg … Arnheim: Es ist die Flucht aus dem Frieden. Sie sollten in die Schweiz gehn, zu mir kommen. Einem Deutschen dürfte ich das nicht sagen. Ulrich: ?
Nach Notizen gehört das aber auch schon Insel II. Berührte dort die Fragen: Selbstmord oder Werk, Werk und Menschheitszuversicht, Theoretiker im Verhältnis zur Gegenwart. Notiz darüber, daß Ulrichs Partiallösungen usw. nicht befriedigen, Gedankengebilde einer ruhigen Zeit seien und dergleichen. Es wäre wohl – besonders verbunden mit Gott – ein großer Glaube. Agathe kann noch an ähnlichem festhalten, weil sie das Geschehen ablehnt. Ulrich aber fühlt, wie der ganze Mensch in Unsicherheit geschleudert ist. Nach Ja und Nein verlangt. Weil dieses Letztere hier am stärksten, gehört das ganze Resümee wohl hieher.
Ulrich: Ich habe unrecht gehabt, usw.
Agathe: Aber gerade du hast doch die unerschütterliche und die ganze Antwort gesucht! (In der Tat hat er ja die Haltung des induktiven Weltbilds gefordert.) Und mit den Häusern und dergleichen hat er doch soeben auch die Unsicherheit auf eine Formel gebracht.
Was ist also die Antwort, die ihn bewegt, in den Krieg zu gehn? Siehe Ausklang der Utopien. Das ist aber noch nicht alles. Hinzu käme: Die Weltabkehr hat keinen Zweck. Das geht schon daraus hervor, daß sie sich stets Gott zum Ziel setzte, etwas Irreales und Unerreichbares. Ich befinde mich in einem vollkommen wehrlosen Zustand.
Unlösbare Lage des Theoretikers. Man müßte eigentlich Falschmünzer (Spion) werden; wenn man dazu nicht die praktische Anlage hat, geht man eben in den Krieg.
Denke an Staatsanwälte und Verteidiger, Sturmszenen im Parlament und dergleichen: es ist das gleiche wie das Zetern von Hunden, die durch ein Gitter getrennt sind. Das Gitter wird jetzt entfernt. Und weil sie zwar ergriffen sind, aber doch mit Vorbehalten und mit Spekulation, sind sie wie Aussätzige. Antwort: die große Rasse der gewöhnlichen Köpfe und die kleine des Genies.
Ulrich: Ich habe immer gesagt: Weltsekretariat, Methodenlehre …: niemand hat geglaubt, daß ich es ernst meinen könnte.
Entscheidend für das Ende zwischen Ulrich und Arnheim, in gewissem Sinn sogar auch für das Verhältnis Ulrichs zur Welt: Die Szene des am Fenster-Stehens, während unten aufgeregtes Volk ist, wiederholt sich. Arnheim hat ihm damals die Frage gestellt, wie ernst er seine Behauptungen nehme: Mit einem eingeschränkten Realgewissen leben. Das Leben in Schwebe lassen. Gleichgültigkeit der Wirklichkeit und Geschichte; Wichtigkeit der Typenschaffung. Arnheim sagt, daß ihn diese Gedanken nahe berühren, aber da er ein Mann sei, der stets Entscheidungen treffen müsse, auch ungeheuerlich. Bewußtsein des Versuchs; die verantwortlichen Führer sollen nicht Geschichte machen wollen, sondern Versuchsprotokolle. Aber wie steht es mit Krieg und Totschlag? (Nun geschieht aber das Gegenteil, und Ulrich tut halb mit.) Ulrich: Leben mit perforiertem Ernst. (Wohl mit Ernst genommen, aber perforiert). Deduktiv – noch nicht induktiv. Nun kommt Arnheim auf Moosbrugger und Ulrich antwortet überraschend. Beide würden Moosbrugger nicht befrein; und nun kommt Arnheim auf den Vorschlag. Von dort auf Mehrung, Teilung des moralischen Bewußtseins und anderes. Schließlich auf Generalinventur. »Ihre Generalinventur!« sagt Arnheim. Ulrich formuliert vorher die Frage »…ob ich glaube, daß man zu würdigeren Zuständen gelangen könne…« Ulrich desavouiert sich zuerst selbst, dann greift er wegen Diotima an: Und zwar: »Ist es erlaubt, der Seele einer Frau mystische Gefühle einzuflößen und ihren Leib ihrem Gatten zu überlassen?« (Mutatis mutandis wiederholt sich das eigentlich auch zwischen Ulrich und Agathe!) Arnheim retiriert auf die reicheren Gebote der Wirklichkeit und dann: Ich bin für Sie mehr ein feindliches Prinzip als ein persönlicher Gegner. Und: die persönlich größten Gegner des Kapitalismus sind im Geschäft nicht selten seine besten Diener. »Ungewöhnliche und leidenschaftliche Menschen sind, wenn sie einmal die Notwendigkeit eines Zugeständnisses eingesehen haben, gewöhnlich seine begabtesten Verfechter.« Darum noch einmal Angebot. Das Folgende führt dieses aus und erwähnt die »Vatergefühle« Arnheims für Ulrich. (Also wohl Befreiung vom Vater?) Zugleich dient ihm Ulrich als Warnung vor Diotima. Die Hemmungen melden sich, falls Ulrich annehmen sollte. Er spricht aber weiter und meint, daß es Ulrichs Charakter sei, was er brauche. Nun sagt Ulrich: Nach allem, was ich weiß, bin sowohl ich wie Frau Tuzzi nur ein Zusatz zu Ölfelder. Arnheim: Wie können Sie einem Börsengerücht aufsitzen. Ich habe über Ölfelder sprechen müssen, aber das ist nicht das Wesentliche. Ulrich sagt ihm, daß Diotima von Ölfeldern nichts ahnt, aber von Tuzzi Auftrag hat, Arnheim wegen Pazifismus – Zar auszuhorchen. Arnheim weicht aus, indem er ihn undelikat nennt. Ulrich denkt an alle seine »Weichheits-«, »Güte-« und »Sehnsucht-nachMenschen«-Augenblicke. Die Straße und Arnheims Bildhaftigkeit. Ulrich möchte ihn morden und auch akzeptieren. Dann kommt Arnheim auf Zukunft und Mehrungsmittel. Vergleiche dazu: Wir großen Geschäftsleute. Glauben Sie denn, daß das Leben vom Geist regulierbar ist?! Sie haben nein gesagt, aber ich traue ihnen nicht! »Sie sind ein Mensch, der den Teufel umarmen würde, weil er der Mann ohnegleichen ist!« »Geister, die das abscheuliche Laster reizet, um der Größe willen, die ihm anhängt.« Ich glaube, daß Sie mich jetzt besser verstehn werden. Ich gestehe Ihnen, daß ich mich manchmal allein fühle. Die Zukunft der Wirtschaftsfamilien. Die Sehnsucht nach dem letzten Unruhig-, Unabhängig- und vielleicht Unglücklichsein. Die Wirtschaft kommt zur Macht; aber was fangen wir mit der Macht an? Verzeihn Sie die Stimmung der Einsamkeit – zieht sich zurück – aber Ulrich behält sich Entscheidung vor und läßt Arnheim verdutzt zurück, der befürchtet, es werde nicht leicht sein, den Vorschlag auf eine ehrenvolle Weise zurückzuziehen: Dafür sorgt ja nun allerdings schon die Dauer der Zwischenzeit.
Immerhin: Arnheim bemerkt, daß Ulrich viel mitgemacht hat. Er ist abgezehrt und hat neue Züge im Gesicht. Er hat in der Zwischenzeit seine Auffassung versucht (dazu gehören auch die Utopien) und Arnheim kann nun seine Fragen wiederholen. Außerdem ist jetzt die Frage Öllager und Pazifismus erledigt, und die wegen Diotima hat ein anderes Gesicht.
Wohl Gelegenheit zu einem längeren Vorgespräch schaffen! Besser als Nachgespräch, weil Arnheims wirklichkeitsentsprechendes Verhalten in der Sitzung als Kontrast, und doch natürlich, folgt.
Dazu ein Paradoxon: Deduktive Denkart, die logophile, enthält eigentlich Reste einer Phantastik. Sie ist in gewissem Sinn die weniger nüchterne als die reine Tatsachengesinnung. Ihre innerste Zelle besteht aus verknorpelter Phantasie.
Es kommt hinzu: »Arnheim in aller Unschuld und Schuld« nach Ulrich. Die »wilde Heiligkeit«, zu der es ihn gereizt hat, hat Ulrich nun auch hinter sich.
Die Frage der Auflösung der Persönlichkeit gehört auch hieher, wenn nicht in Tagebuch!
Der General ist es gewesen, der über »Erlösung« usw. nachgedacht hat. Er muß auch jetzt eine Beobachtung darüber machen. Es ist erwähnt, daß die Wortgruppe in den Büchern von Arnheim vorkommt.


12. Agathe Ulrich Schluß


Wiedersehen mit Agathe. Überstandene Infektion.

Muss kein selbständiges Kapitel sein. Vielleicht bloss Zusammentreffen mit Agathe, die Ulrich zur Sitzung begleitet.

Jemand kennenlernen, heißt, in einer bestimmten Weise auf ihn antworten; da das vorbei ist, kennen sie einander wieder nicht. Das heißt, sie wissen nicht, was sie in der Trennungszeit getan haben, sie geben eifersüchtigen Vermutungen Raum. Es ist ein Zurückkehren zur Ausgangssituation des II. Bandes.
Ins Lächerliche gewendet: Du hast ja keine Ahnung, wie ich bin – ist ein typischer Vorwurf –: Walter (bei seiner Abrechnung)!
Ernst genommen: Mann ohne Eigenschaften in Welt ohne feste Formen ist eigentlich behavioristisch: Gegeben nur Handlung und Äußerung; es ist falsch, sie als »Symptome« auf eine »Persönlichkeit« zurückzuführen: sie sind der faßbare Teil der Persönlichkeit, auf deren anderen Teil man verzichten muß. Nur für das Ich selbst steckt der Schein eines Dings hinter seinen Äußerungen: Auf solche erkenntnistheoretische Versuche ist zu verzichten! Dafür (abgesehen von allem anderen, was abschließend über Mann ohne Eigenschaften – Welt ohne feste Formen zu sagen ist) das Gefühl beschreiben, wie die Welt historisch pulsiert, sich dreht, unaufhörlich vergeblich gewendet wird und das ebenso indefinite Individuum ihr entspricht!! – Wie das zu fassen ist? (Das Leben des Körpers und das der Seele vollziehen sich unabhängig von dem der Vernunft.)
Als andere Geistesrasse umhergehn. (Das ist wohl, zumal heute, das entscheidende Lebensgefühl aller solcher Leute!)
Agathe hat vor Reise Lindner gesagt, was sie vorhat. Ulrich und Agathe erscheinen ihm als »Unselige« (Lindner). Agathe verachtet ihn. Hagauer ist befriedigt, rehabilitiert. Will keinen Skandal. Agathe ist bei Bruder in gesellschaftlichem Schutz. Sucht Einvernehmen.
Eines Tags Agathe im Haus. Hat eine Zofe mitgebracht. Wo warst du? In Wien. (Dann könnte sie aber nicht von Mobilmachung zurückgeführt werden. Also bei Hagauer.)
Ich möchte die Geschichten mit Rechtsanwalt und Zahnarzt weglassen, aber eigentlich muß doch Agathe sich erotisch versuchen (und nicht mit Hagauer), um zu sehen, ob sie noch irgendeine Selbständigkeit hat. Sie verteidigt es mit dem von Ulrich Gelernten und schlägt ihn damit. Aber das muß sehr denaturiert vorgebracht werden, in andeutungsweiser Erzählung. Hagauer gegenüber bleibt sie aber stark; sie will nicht ins Vergangene zurückfallen! Immerhin ist es bedenklich, das am Schluß zu haben. Dann müßte also Agathe früher zurückkehren, und wenn nicht zur Mobilmachung, so gleich, bloß mit dem Abstecher zu Hagauer, so daß sie Ulrich am wahrscheinlichsten schon vorfände.
Schwierig daran, in so vielen folgenden Kapiteln die Aussprache Ulrich – Agathe zu vermeiden. Es wäre nur wertvoll zur Beendigung der Moralprobleme, müßte also einen neuen Diskussionsinhalt erhalten: Zerplatzen einer Ordnung, die keine ist. Etwas wie ein religiöses Grauen bei Mobilmachung. Nicht Ulrich, sondern die festen Stützen sind desavouiert. Ein Höhepunkt: anderer Zustand – normaler Zustand. Kommt nicht zur Entscheidung.
Tiefste Feindschaft gegen alle, und man möchte doch den nächstbesten umarmen. Der Einzelwille versinkt, eine Gemeinsamkeit dämmert. Das Geschichtliche ist keine Idee, sondern ein Geschehen. Letzte Auswege: Sexualität und Krieg. Ulrich kommt bei Diotimas Haus vorbei und erinnert sich an Arnheims Prophezeiung, daß der Einzelne der Gefoppte ist. Großer Gegenschlag gegen andere Gute. Die bösen Eigenschaften explodieren, (aber doch in der Form von guten!) Ulrich sucht wehmütig, was ein faszinierender Moment ist. (Vielleicht fehlte er zwischen ihm und ihr. Vorgemerkt auch: Zwischen zwei einzelnen Menschen gibt es keine Liebe). Unter diesen Männern sind vielleicht solche, die Agathe »gehabt« haben.
Agathe – Mobmachung: Die Männerwelt ist sie nie etwas angegangen; schrecklich in ihrem Ausbruch bei Mobilmachung. Agathe will Mobilmachung ignorieren. Voll lächerlichen, rührenden Heimatgefühls – will sich melden – mokiert sich zugleich. Te deum …
Nachher, Agathe hat auf Ulrich gewartet: Agathe: Wir leben weiter, als ob das nichts wäre. Ulrich: Nein. Selbstmord. Ich gehe in Krieg. Agathe: Wenn dir etwas geschieht: Gift. Das Schattende des Todes wird plötzlich sichtbar. Des persönlichen Todes, ohne daß man etwas ausgerichtet hat und unerachtet dessen das Leben weiter holpert und seine Vergnügungen weiter entfaltet. In der Mobmachungsstimmung glauben übrigens alle Leute, dauernd auf Vergnügungen zu verzichten. Ist das Endergebnis für Ulrich nicht etwas wie Askese? Anderer Zustand ist mißglückt und Vergnügen gehört zum Wandel der Gefühle? Das wäre also noch einmal ein Gegensatz zum gesunden Leben. Ein Ausklang der Utopien. Agathe: Man ist nichts, halbfertig entlassen von ihm, wieder eingehaucht. Häuser – Hauchartige Masse, Niederschlag an sich darbietenden Flächen. Außerhalb der Bindungen deformiert jeder Impuls augenblicklich den Menschen. Der Mensch, der erst durch den Ausdruck wird, formt sich in den Formen der Gesellschaft. Er wird vergewaltigt und erhält dadurch Oberfläche. Er wird geformt durch die Rückwirkungen dessen, was er geschaffen hat. Zieht man sie ab, so bleibt etwas Unbestimmtes, Ungestaltes. Die Mauern der Straßen strahlen Ideologien aus.
Ulrich: Krieg ist das gleiche wie anderer Zustand; aber (lebensfähig) gemischt mit dem Bösen. Wie lautet die Notiz (als Ausgang verwendbar): Du gehst durch dieses Volk …
Vielleicht an Stelle der gestrichenen Eifersuchtskapitel: Mobilmachungs-Zeit. Agathe hat trotzdem einen Tischler rufen lassen. Er mag etwas unter dreißig sein, ist groß und eigentlich wie ein Schlosser gebaut, das heißt, schlank, mit breiten Schultern, trocken; lange, wohlgeformte Hände von großer Kraft und sehnige Gelenke. Sein Gesicht ist klug und offen, sein Haar dunkelblond und sehr natürlich. Der Overall kleidet ihn gut. Er spricht Mundart, aber ohne Derbheit.
Agathe mit ihm im Nebenzimmer. Ulrich ist – in Gedanken – weggegangen. Nichts soll ihn mehr kümmern. Dann ist er aber umgekehrt und über eine Gartenterrasse wieder ins Haus und in sein Zimmer gekommen, ohne daß Agathe es bemerkte. Er lauscht ins Nebenzimmer. Es fällt ihm der Ausdruck der beiden Stimmen auf. Die des Mannes erklärt etwas: beredt, mit Ruhe und einer gewissen Überlegenheit. Ulrich versteht nicht, was, errät aber aus seinem Vorwissen und Holzgeräusch, daß es sich um einen Rollsekretär Agathes handelt. Er wird auf- und zugerollt. Der junge Meister fordert Agathes Zustimmung zu einer umfassenderen Ausbesserung als ihr recht ist, und sie macht unsichere Einwände.
Das alles weiß und versteht Ulrich. Es muß sich um ein Geheimnis der alten Rollvorrichtung drehn.
Und plötzlich löst sich das von der Wirklichkeit los. Denn genau so verliefe das Gespräch, wenn es eine Liebesunterhandlung wäre. Das Überreden, die leichte Überlegenheit, das Als-nötig-Hinstellen oder Es-ist-nichts-dabei in der Mannesstimme. Als ob es sich um eine sexuelle Improvisation handelte. Und dann die geliebte Stimme! Widerstrebend, eingeschüchtert, unsicher. Sie möchte und will nicht. Sie gibt nach und hält sich noch da und dort fest. Sie sagt halblaut »Ja« … »Ja« … »Aber … «. Sie weiß schon längst, daß sie nachgeben wird. Wie Ulrich diese zurückhaltende, tapfere Stimme liebt und die Frau, die alles wie das Dunkel fürchtet, und doch alles tut! Er brächte es nicht über sich, mit einer Waffe hineinzustürzen und Rache zu nehmen oder auch nur Rechenschaft zu fordern.
Dann kommt sogar eine Art Seufzer des Nachgebens über Agathes Lippen, und es läßt sich das Knacken von Holz täuschend hören.
Und trotz dieses durchträumten Sich-für-Agathe-Freuens geht Ulrich in den Krieg. Aber durchaus nicht mit Überzeugung.