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V 6 34 Kap 52

( 51 . .. nicht einfach ..) 9.

merkte es mißfällig, denn er liebte diese wie Kugeln gedrechselten und flüchtig vergoldeten Einfälle nicht. Er tat aber auch nichts, sich zu verbessern, und ebenso wenig fragte seine Schwester danach. Denn sich auskömmlich über die unheimliche Kunst des Stillebens oder der Nature morte zu äußern, war ihnen beiden deren seltsame Ähnlichkeit mit ihrem eigenen Leben hinderlich.

Sie spielte darin eine große Rolle. Ohne daß es nötig wäre, das in den Einzelheiten zu wiederholen, was bis zu den gemeinsamen Kindheitserinnerungen zurückreichte, beim Wiedersehen wieder erwacht war, und seither allen Erlebnissen und den meisten Gesprächen etwas Seltsames gab, läßt sich wohl auch nicht verschweigen, daß der markbetäubende Anhauch des Stillebens immer daran zu spüren war. Unwillkürlich, und ohne etwas Bestimmtes darüber anzunehmen, das sie hätte leiten können, wandten sie darum ihre Neugierde allem zu, was mit dem Wesen des Stillebens Verwandtschaft haben könnte; und es ergab sich mehr oder minder der folgende Wortwechsel, der wie ein Wirbel das Gespräch nochmals spannte und von neuem abrollen ließ:

Vor einem unerschütterlichen Antlitz, das keine Antwort erteilt, um etwas flehen zu müssen, treibt den Menschen in einen Rausch der Verzweiflung, des Angriffs oder der Würdelosigkeit. Ebenso erschütternd, aber unsagbar schön, ist es dagegen, vor einem reglosen Antlitz zu knien, nach auf dem das Leben vor wenigen Stunden erloschen ist und einen Schein zurückgelassen hat wie ein Sonnenuntergang.

Dieses zweite Beispiel ist sogar ein Gemeinplatz des Gefühls, wenn je etwas so benannt werden darf! Die Welt spricht von der Weihe und Würde des Todes; es gibt das poetische Motiv der aufgebarten Geliebten seit hunderten, wenn nicht tausenden Jahren; es gibt eine ganze damit verwandte, zumal lyrische Todespoesie. Es ist wahrscheinlich etwas Knabenhaftes daran. Wer malt sich aus, daß ihm der Tod die edelste der Geliebten zu eigen schenkt? Dem der Mut oder die Möglichkeit fehlt, eine lebende zu haben!

Von dieser poetischen Knabenhaftigkeit führt eine kurze Linie zu den Schauern der Geister= und Totenbeschwörung; eine zweite zum Greuel der wirklichen Nekrophilie; vielleicht eine dritte zu m den krankhaften Unfug zwei Gegensätzen des Exhibitionismus und der gewaltsamen Nötigung.

Das mögen befremdliche Vergleichungen sein, und zum Teil sind es höchst unappetitliche. Aber wenn man sich davon nicht abhalten läßt und sie sozusagen medizinisch=physiologisch betrachtet, zeigt sich, daß eins allen gemeinsam ist: eine Unmöglichkeit, ein Unvermögen, ein Mangel an natürlichem Mut oder Mut zum natürlichen Leben.