Aus dem Nachlass

Die drei Druckfahnen

Nur drei Blätter mit korrigierten Druckfahnen zu den Schlusskapiteln des Ersten Buchs des »Mann ohne Eigenschaften« – die Seiten 431, 433 und 435 – sind zufällig in Musils Nachlass erhalten, ihre Reproduktion erfolgt mit freundlicher Zustimmung der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien, in deren Besitz sich das Original (Ser. Nov. 15.124, S. 131, 132, 133) befindet. Der große Rest ist beim Verlag geblieben und im Zweiten Weltkrieg verloren gegangen. Die drei Seiten dürften 1937 von der Druckerei Kittl in Mährisch-Ostrau gemeinsam mit den ungebundenen Exemplaren des Bandes an den Verlag Bermann-Fischer in Wien gekommen sein, der Musils Werke übernommen und das Erste Buch des Romans satzident nachgedruckt hatte. Überliefert sind sie im Nachlass in einer Mappe gemeinsam mit den korrigierten Druckfahnen der Zwischenfortsetzung „Zweites Buch, Zweiter Teil“, der 1938 bei Bermann-Fischer erscheinen sollte, aber in Folge des ‚Anschlusses‘ Österreichs an Nazi-Deutschland nicht mehr erschien.

Musils Arbeit an den Druckfahnen ist aus Notizen im Nachlass, aus seinen Heftaufzeichnungen und aus Briefen aber recht gut dokumentiert. Er erhielt die ersten Druckfahnen im April 1930 und begann Anfang Mai mit der Korrektur. Die Korrekturarbeit an den Fahnen, bei der Musil von Franz Blei und Johannes v. Allesch unterstützt wurde, erschien ihm im ersten Stadium rasch bewältigbar, mit Fortdauer wuchs sie allerdings aus und führte zu gravierenden Änderungen bis hin zu gänzlichem Umschreiben einzelner Textteile. In einem Brief an Franz Blei vom 19. Oktober 1930 findet sich die Bemerkung, „noch heute sind die letzten drei Bogen, die ich umgearbeitet habe, nicht imprimatiert". Musil war also insgesamt fast ein halbes Jahr mit der Fahnenkorrektur beschäftigt und er hatte sie selbst zu einem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen, als in Mährisch-Ostrau die Druckerpresse längst bereits lief, um das Buch in seinen ersten Teilen zu drucken. Die drei Seiten vermitteln einen plastischen Eindruck von Musils Arbeitsweise bei der Fahnenkorrektur.

Korrektur-Intensität in drei Stufen

Ein Blick auf die Faksimiles, auf den Fassungsvergleich und der Textvergleich zwischen der korrigierten Version und dem Buchtext zeigt drei Stufen der Korrektur-Intensität:

Seite 431

Auf dieser Seite ist mit Rotstift, mit Blaustift und mit Bleistift viel korrigiert, zwei längere Passagen sind mit Rotstift vom unteren Ende der Fahne eingefügt. Die Korrekturen beschränken sich nicht auf Einzelheiten, sondern sie dienen der stilistischen Neubearbeitung des Textes, ohne dass sich inhaltlich viel änderte. Der Vergleich mit der Buchfassung macht deutlich, dass Musil das Ende des zweiten Absatzes dann noch einmal völlig umschrieb.

Seite 433

Hier befinden sich auf der Fahne wesentlich weniger Korrekturen. Sie sind auch wieder mit Rotstift, Blaustift und Bleistift vorgenommen worden, Bleistift verwendete Musil für Hinweise an den Setzer. Der Vergleich mit der Buchfassung ergibt aber, dass Musil diesen Text, die Reflexionen Ulrichs über die Prostituierte und Moosbrugger später in einer frappanten Weise noch einmal völlig umschrieb.

Seite 435

Der Abschnitt aus dem Anfang des letzten Kapitels enthält nur eine Korrektur mit Blaustift, sich vorwiegend auf Formales beschränkende Korrekturen mit Rotstift und wieder zwei Anmerkungen für den Setzer in Bleistift, in Kurrent ausgeführt und eingerahmt. Auffallend ist, dass die korrigierte Version der Fahnen so gut wie keine Veränderung zum Buchtext aufweist.